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Erich Mühsam

Erich Mühsam
Erich Mühsam auf dem Monte Verità, ca. 1904

Erich Mühsam: jüdisch, bisexuell, anarchistisch, poetisch und revolutionär. In einer Zeit, in der jede dieser Eigenschaften allein gefährlich genug gewesen wäre, lebte Mühsam all diese Identitäten offen und kompromisslos aus. Sein Leben war geprägt von konsequentem Widerstand gegen Autorität und Unterdrückung – gegen den Staat, das Kapital, den Militarismus und die bürgerliche Moral.

Mühsam verband politischen Ernst mit scharfem Witz, Poesie mit Agitation und zeigte gleichzeitig eine beeindruckende Mischung aus persönlicher Verletzlichkeit und unerschütterlichem Mut. Gerade seine Unbequemlichkeit macht ihn bis heute unverzichtbar und relevant.

Den schreibenden Bohemien in München und Berlin war er zu anarchistisch: Er agitierte Arbeiter und das Lumpenproletariat und wurde wegen diverser politischer Straftaten verurteilt. ⁠Den ernsthaften Anarchisten war er zu sehr Boheme: Er dichtete zu unpolitisch, trank zu viel und vergnügte sich zu sehr – nicht nur, so der Vorwurf, mit Frauen. (https://web.archive.org/web/20241211055238/https://www.deutschlandfunk.de/liebe-und-anarchie-104.html

Kindheit und Jugend

Geboren wurde Erich Mühsam am 6. April 1878 in Berlin. Seine Jugend verbrachte er jedoch in Lübeck, wo seine rebellische Natur früh mit dem wilhelminischen Obrigkeitsgeist kollidierte. Bereits in jungen Jahren schrieb Mühsam Gedichte, und entwickelte ein ausgeprägtes Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit. Aufgrund „sozialistischer Umtriebe“ wurde er 1896 vom Gymnasium verwiesen – ein Ereignis, das seine lebenslange politische Haltung vorwegnahm.

Politisches Erwachen und anarchistische Orientierung

Nach Aufenthalten in Berlin, Zürich und München fand Mühsam in radikalen anarchistischen Kreisen seine politische Heimat. Inspiriert durch die Freundschaft mit Gustav Landauer verstand er den Anarchismus als mehr als nur eine politische Theorie – für ihn war es eine ethische Haltung gegen Herrschaft und Unterdrückung, für Freiheit, Gleichheit und Solidarität. In seiner Schrift „Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat“ plädierte er für eine basisdemokratische, herrschaftsfreie Gesellschaft.

Seinen Lebensunterhalt verdiente Mühsam in prekären Verhältnissen als Journalist, Theaterkritiker, Essayist und Kabarettist. Seine satirischen Beiträge machten ihn zu einer gefürchteten Stimme gegen Militarismus, Kirche und staatliche Autoritäten.

Verbindung zur Vagabund:innenbewegung

Ende der 1920er Jahre suchte Mühsam bewusst den Kontakt zu sozialen Bewegungen jenseits der etablierten linken Parteien. Besonders eng verbunden fühlte er sich der Vagabund:innenbewegung um Gregor Gog und dessen „Bruderschaft der Vagabunden“, einer Gemeinschaft aus Obdachlosen, Künstler:innen und Aussteiger:innen, die bewusst außerhalb bürgerlicher Normen lebten. Die Vagabund:innen verkörperten für Mühsam gelebten Widerstand gegen Besitzlogik, Zwangsarbeit und staatliche Kontrolle. Auch wenn er selbst am spektakulären „Internationalen Vagabundenkongress“ 1929 in Stuttgart nicht teilnehmen konnte, unterstützte er die Bewegung mit Grußbotschaften.

Literarisches Schaffen

Mühsams literarische Werke, darunter „Brennende Erde“, „Verse eines Kämpfers“, „Revolution“ sowie das satirische Drama „Staatsräson“, verbinden politischen Aktivismus mit poetischer Ausdruckskraft. Sein Werk zeichnet sich durch satirische Schärfe, revolutionären Pathos und tiefe Menschlichkeit aus. Seine Tagebücher offenbaren zudem einen sensiblen und reflektierten Menschen, der trotz persönlicher Zweifel und Depressionen stets kompromisslos gegen Macht und Gewalt Stellung bezog.

„War einmal ein Revoluzzer
im Zivilstand Lampenputzer;
ging im Revoluzzerschritt
mit den Revoluzzern mit. Und er schrie: ‚Ich revolüzze!‘
Und die Revolüzzermütze
schob er auf das linke Ohr,
kam sich höchst gefährlich vor.“
(Gewidmet der "
deutschen Sozialdemokratie“)

Revolution und Repression

Ein entscheidender Wendepunkt in Mühsams Leben war seine Beteiligung an der Novemberrevolution 1918 und der Münchner Räterepublik im April 1919. Als die Räterepublik brutal niedergeschlagen wurde, wurde Mühsam verhaftet und zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt, von denen er fünf Jahre verbüßte. Trotz gesundheitlicher Schäden blieb sein politischer Wille ungebrochen.

Kampf gegen den Faschismus

Nach seiner Haftentlassung engagierte sich Mühsam entschlossen gegen autoritäre Tendenzen und warnte frühzeitig vor der Gefahr des aufkommenden Nationalsozialismus. In seiner Zeitschrift „Fanal“ positionierte er sich radikal gegen Reaktion und Faschismus und stellte sich offen gegen Hitler und das NS-Regime.

Verhaftung und Ermordung

Nach Hitlers Machtübernahme wurde Mühsam am 28. Februar 1933 verhaftet, zunächst ins KZ Sonnenburg und später nach Oranienburg verschleppt. Dort wurde er monatelang gefoltert, gedemütigt und schließlich am 10. Juli 1934 ermordet. Obwohl sein Tod von der SS als Selbstmord inszeniert wurde, bestätigen zahlreiche Zeugen und spätere Recherchen die Tatsache seiner Ermordung.

„Bis morgen haben Sie sich aufzuhängen ... Wenn Sie diesen Befehl nicht ausführen, erledigen wir das selbst.“ (https://web.archive.org/web/20250515224524/https://www.deutschlandfunkkultur.de/erich-muehsam-sich-fuegen-heisst-luegen-100.html)

Seine Frau Kreszentia Mühsam kämpfte zeitlebens um die Anerkennung dieser Wahrheit.

Vermächtnis

Erich Mühsam steht für radikale Menschlichkeit, die Verbindung von Kunst und Politik sowie den Mut, gegen jede Form von Unterdrückung und Herrschaft aufzubegehren. Mühsams unbeugsame Haltung, geprägt von Verletzlichkeit und Wut, aber vor allem von Liebe zur Menschheit, ist für mich unverzichtbare Inspiration.

„Ich hab's mein Lebtag nicht gelernt,
mich fremdem Zwang zu fügen.
Jetzt haben sie mich einkasernt,
von Heim und Weib und Werk entfernt.
Doch ob sie mich erschlügen: Sich fügen heißt lügen!“

– Erich Mühsam
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